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Joergo Kommentar

 
 
 

HanfBlatt, Nr. 105 von Joergo / 2006

Der Fliegenpilz

Ein Ausstellungsbesuch mit Wolfgang Bauer

Der Fliegenpilz, der Flugpilz der Schamanen, unser Glückspilz, der die Fliegen berauschende Pilz, das Zwergenhaus, das Zwergenmobiliar, der Hexenbecher, das Hexenei, das kosmische Ei, das Rabenbrot, der Stein der Weisen, der Weltenbaum, mit seinen weißen Tupfen, die wie Sternlein prangen, der Himmel und Erde verbindet, der Donnersohn der Griechen und Römer, Leibspeise der Rentiere und Glücksschweine, aus Speichel gewachsen, den Funken des göttlichen Schmieds, des schmiedenden Zwerges, der Pilz, der den Weihnachtsbaum zur Wintersonnenwende schmückt und das neue Jahr beglückt und Pfingsten und Ostern und Geburtstage, der Phallus, von dem niemand weiss, dass er Rumpelstilzchen heißt, das Soma der Veden, Brücke zum Tod, kaum einmal wirklich tödlich, doch der Giftpilz schlechthin, so schön, so offensichtlich, weil er nicht wie die kleinen Kahlköpfe sagt, du musst mich kennen, wenn du mich nehmen willst, sondern, nimm mich, wenn du mich wirklich nehmen willst, denn er kann dich hinabgeleiten in die Unterwelt zu den kleinen Wesen, die dir mal griesgrämig Verachtung zeigen, dich taumeln und im Schwindel kreiseln und göbeln lassen, oder dir zu Ehren eine Orgie feiern, auf der du dann gerade zum richtigen Zeitpunkt als Stargast erscheinst.

Oder er führt dich wie ein Schornsteinfeger die Himmelsleiter hinauf auf das Dach der Welt zu den Himmelskindern, den brummselnden Glückskäfern und den schrillen Meisen, damit du allen ein glückliches neues Jahr zuprosten kannst, bevor du mit Wotan und dem Rest der Bande auf die wilde verwegene Jagd gehst. Dieser einzigartige Lamellenpilz hat die Menschheit und die Tierwelt schon sehr lange begleitet und wurde in Religionen als kultisches Sakrament verehrt und von nordischen Schamanen als Heilpilz verzehrt. Dieser botanisch Amanita muscaria Genannte ist in jedem Falle eine Ausstellung wert. Fängt man erst einmal an, sich mit dem Fliegenpilz zu beschäftigen, dann taucht er plötzlich überall auf. Dabei verrät er Einem ganz nebenbei, dass es nicht nur darum geht, der Natur der Dinge zu lauschen, sondern mit der Natur zu plauschen.

Es geht nicht nur darum, Zusammenhänge rational zu verstehen, sondern man kann zwecks Natur- und Selbsterkenntnis auch mal wieder in Sümpfe oder Wälder gehen. In dieser Stimmung suchte ich im Frühsommer an einem schönen Freitagnachmittag in Frankfurt-Bornheim den Psychologen und Therapeuten Wolfgang Bauer auf, nein, nicht um mir den Fliegenpilz austreiben zu lassen, im Gegenteil, ich klingelte bei einem Infizierten, dem bekanntesten deutschen Fliegenpilz-Kenner. Er war an der Veröffentlichung zahlreicher wertvoller Bücher beteiligt. „Der Fliegenpilz“ aus dem AT-Verlag sollte man unbedingt lesen! (Für 15 Euro noch erhältlich bei Werner Pieper/Die Grüne Kraft) Gemeinsam mit dem Natur-Künstler und Botaniker herman de vries (von Mel Gooding bei 2001 in einem empfehlenswerten Bildband präsentiert) brachte er die bei Psychoaktiva-Freunden berühmte Zeitschrift „integration“ (1-6) und bringt mit Holger Jordan („Magister Botanicus“) „Magische Blätter“ heraus.

Ende der Achtziger Jahre führte Wolfgang Bauer nach einer Idee von herman de vries und gemeinsam mit Alexandra Rosenbohm und Michael Fehr im Rahmen des Karl-Ernst-Ostheim-Museums in Hagen und mit Hilfe einer ganzen Reihe weiterer Leihgeber und Donatoren die Fliegenpilzsammlung zusammen, die wir nun gemeinsam besuchen werden. Die Sammlung wurde bereits in mehreren Museen und Ausstellungen unter verschiedenen Gesichtspunkten präsentiert („Märchen und Fliegenpilz“ in Friedrichsdorf, „Botanik des Fliegenpilzes“ in Mannheim, „Hexen und Fliegenpilz“ in Schongau, „Fliegenpilz und Magische Pflanzen“ in Frankfurt a.M.). Ihr größtes Publikum hatte sie wohl im Rahmen der Schamanismus-Ausstellung im Tropenmuseum in Amsterdam, wo sie von mehr als 150.000 Menschen gesehen wurde. Nun befanden sich etwa zwei Drittel der Gesamtausstellung im Dreieich-Museum in der instandgesetzten Ruine der über tausend Jahre alten Burg „Hayn in der Dreieich“ in Dreieichenhain.

Als wir vor Ort aufschlugen, feierte dort gerade ein Biotech-Unternehmen sein grundsaniertes Florieren inklusive Bauchtänzerin, Stelzenläufern, Clowns und Ochse am Hightech-Spieß. Das Museumspersonal hatte man auf Betriebsausflug geschickt. Eine freundliche Angestellte schloss uns Verschwörern mitsamt Shaktis trotz Besatzern die Kellergewölbe auf, so dass wir gemeinsam in die Welt des Fliegenpilzes abtauchen konnten. Wolfgang Bauer nahm uns mit auf die Reise durch einen Zirkel von Vitrinen mit diversen Artefakten, Büchern, Ansichtskarten, Kitsch, Kunst und Krempel mit dem Fliegenpilzmotiv. Mit profunder Kenntnis und großer Begeisterung für die Materie führte er uns in die Vielfalt der Geschichten um den Fliegenpilz ein.



Der Fliegenpilz ist sehr weit verbreitet, in Europa, Asien, Nord- und Südafrika, Nord- und Mittelamerika und Neuseeland. Christian Rätsch hat ihn in den Bergen von Kolumbien gefunden.

Wenn man den Fliegenpilz verstehen will, ist es ratsam, den Entwicklungszyklus des Pilzes zu betrachten. Vom an der Oberfläche nicht sichtbaren Myzel ausgehend, das in Symbiose mit Nadelbäumen (insbesondere Fichten) und Birken lebt, spriessen hierzulande von Juni an bis zum ersten Frost, als wären es die Früchte oder Kinder der besagten Bäume, die Pilzfruchtkörper. Früher dachte man, sie würden überall dort gedeihen, wo bei Gewitter der Speichel von Wotans achtbeinigem Pferd niedergegangen sei oder später der des Schimmels des heiligen Veits. Der Fruchtkörper macht eine beachtliche Entwicklung durch. Erst erscheint ein weißes bei starkem Regen eventuell rotes Ei. Der weiße Stein der Alchemisten wird mit dem Fliegenpilz in Verbindung gebracht. Das rote Osterei wird seit Jahrtausenden kultisch verehrt, besonders in der orthodoxen christlichen Kirche. Es erinnert an den jungen Fliegenpilz. Genau sind da die Zusammenhänge nicht geklärt.

Der Fliegenpilz findet sich aber in vielen österlichen Darstellungen, so auch auf Ostereiern, einige wie die von Reinhild Massey wahre Kunstwerke.

Aus dem Ei explodiert der phallische Pilz mit weißen Tupfen, der sich schließlich zu einem Tisch, einem Schirm und zum Krötenstuhl und eventuell bis zum Hexenbecher aufwölbt, in dem sich psychoaktiviertes Regenwasser, der Zwergenwein, zu sammeln vermag. Regenwasser, das derart eineinhalb Tage in so einem Pokal quasi auf dem Zwergentisch gestanden hatte, wurde getrunken und bescherte sehr schöne farbige Träume.

Das „Trinkgold“ wird zubereitet, indem man die Hüte ohne die verwässernden Stengel in einem Tuch auspresst und so den wunderschön goldorangenen Saft erhält, ein Getränk, das bekömmlicher als der ganze Pilz sein dürfte, der allein auf Grund seiner Masse nicht selten Übelkeit verursacht. Experimentierer nehmen zu Beginn höchstens einen ganzen Pilz. Einen Tag fasten und Kamillentee trinken mag auch die unerwünschten Nebenwirkungen auf den Magen-Darm-Trakt lindern. Bei der Einnahme von vier bis fünf Pilzen, einer schamanischen Dosis, ist allerdings ohnehin mit erheblichen körperlichen Nebenwirkungen, wie Schwindel, Erbrechen und Durchfall zu rechnen, bevor der eigentliche Rausch mit voller Kraft einsetzt und bis in den nächsten Tag hineinreichen kann. Sergius Golowin kam nach der Einnahme von sieben Pilzen erst nach zwei Tagen wieder zu sich. Seine Familie ließ ihn freundlicherweise gewähren und liegen. Und natürlich hatte er Unbeschreibliches erlebt, das Geheimnis des Universums geschaut, aber als er es wiedergeben wollte, war es weg. Aber er war auch ein ganz besonderer Mensch. „Deshalb ist es ja so gefährlich, wenn Jugendliche einfach so etwas vor sich hin fressen und nicht daran denken, dass das eine machtvolle Droge ist. Wir dürfen nicht vergessen, wir sprechen über einen heiligen Pilz von sehr vielen Völkern auf dieser Erde!“ Respekt ist die Grundlage im Umgang mit psychoaktiven Pflanzen und Pilzen. Das kann man in dieser Gesellschaft gar nicht oft genug betonen. Zum Glück konsumieren Neugierige viel eher die körperlich bekömmlicheren Psiloc(yb)in-Pilze und lassen die Finger von diesem sehr speziellen eher anstrengenden Kandidaten. Der Fliegenpilz reinigt also praktisch den Konsumenten körperlich, bevor er ihn psychisch aufrüttelt oder sensibilisiert.

Jochen Gartz („Narrenschwämme“, Nachtschatten Verlag) sammelt Berichte von Vergiftungen durch psychoaktive Pilze. Darunter findet sich ein Bericht von einem Fliegenpilzvergifteten aus der Zeit um 1920, der Flötentöne hörte, Hexen tanzen sah, dem Armin der Cherusker in den Wolken erschien und zum Schluss Gott selbst als Allvater Wotan, der ihm das ganze Weltall zeigte. Er erlebte also einen vollen psychedelischen Trip, wie man heute sagen würde. Und schließlich glaubte er, er wäre selber Gott. Und da wurde der Arzt, der ihn behandelte, langsam böse und bescheinigte ihm eine exogene Psychose. Ein anderer Fall ist der eines jungen Mannes, der sich aus Liebeskummer im Wald mit vier Fliegenpilzen umbringen wollte, weil er glaubte, dass der Fliegenpilz halt ein für derartige Zwecke geeigneter Giftpilz sei. Er stolperte aus dem Wald und wurde in ein Krankenhaus gebracht. Dort hörte er draußen seine Geliebte, die im Herzen bereute, dass sie ihn so schlecht behandelt hatte und ihn zurück haben wollte. Doch in Wirklichkeit war dort niemand. Der Pilz erfüllte ihm also in der Phantasie seinen Wunsch. Derartige Vergiftungen gehen außer in Kriminalromanen in der Regel glimpflich aus. Tödliche Vergiftungen sind nicht bekannt. Man kann den Fliegenpilz aber mit dem gefährlicheren Pantherpilz verwechseln.

In geringen Dosierungen ist der Fliegenpilz ein traditionelles Volksheilmittel. Heute wird er noch in der Homöopathie eingesetzt. Da langt einer für ganz Deutschland. Der Fliegenpilz soll dem Pharma-Unternehmen Madaus zu Folge in Deutschland in seiner Kraft gen Süden deutlich zunehmen und in den Bergen stärker sein. Da mag was dran sein. Die heilige Droge und Gottheit der indogermanischen Religion des Rigveda, das Soma der Arier, bei dem es sich nach den Forschungen des wohl bedeutendsten Erforschers psychoaktiver Pilze Gordon Wasson mit hoher Wahrscheinlichkeit um Fliegenpilz handelt, wurde in den Bergen gesammelt. Bauern im Alpenraum halten ebenfalls die auf Bergen gewachsenen Pilze für potenter.

Ich als Nordlicht kann jedoch nur sagen, man sollte nicht unterschätzen, was in Himmel- und Teufelsmooren Norddeutschlands sprießt. Es gibt ohnehin relativ starke Schwankungen im Wirkstoffgehalt in Abhängigkeit von Standort, Jahreszeit und Entwicklungsstadium. Auch die Trocknung und Zubereitung spielt eine Rolle. Die Trocknung kann die Wirkung erheblich potenzieren, weil sich dadurch der Wirkstoff Ibotensäure in das mehrfach stärkere Muscimol umwandelt. Deshalb ist sie bei den sibirischen Schamanen üblich. Bauern im Alpenland haben getrocknete Fliegenpilze in ihren Kräutermischungen geraucht. Fliegenpilze waren vor der Durchsetzung des Reinheitsgebotes, wie Christian Rätsch anschaulich geschildert hat, ebenso wie Nachtschattengewächse und andere psychoaktive Pflanzen eine durchaus nicht ungewöhnliche Bierzutat. Wie man aus persönlichen Berichten weiss, gab es bis in die Prähippie-Zeiten Menschen, die die Fliegenpilzwirkung zu schätzen wussten.

In den schamanischen Kulturen des Nordens nahmen und nehmen Schamanen im Rahmen einer Zeremonie mit Feuer, monotonem Trommeln und Gesang Fliegenpilze ein, wenn vermisste Gegenstände oder Personen gesucht werden, man Rat für die Wanderung mit Wild oder Rentieren verlangt oder Stammesangehörige erkrankt sind. Der Schamane fällt in Trance. Seine meist tierischen Hilfsgeister erscheinen. Man hört entsprechende Geräusche. Schließlich sackt er in sich zusammen und geht auf die schamanische Reise in die Unterwelt oder auch in den Himmel, sucht dort die Seele oder spricht mit Dämonen oder Geistern über sein Anliegen und hilft so den Ratsuchenden oft mit erstaunlicher Treffsicherheit, zu finden, was sie gesucht haben. Bei schamanischen Behandlungen gelingt es mitunter auch verlorene Seelen zurück zu holen und der aus westlicher Sicht psychotisch Erkrankte kann wieder normal mit der Gemeinschaft zusammenleben. Die WHO erkennt mittlerweile das Handwerk der Schamanen indigener Völker als dem westlicher Mediziner gleichwertig an.

Schamanen, Hexen, Medizinmänner und Götter haben immer wieder Raben bei sich. In der Antike war er der alles ausplaudernde Göttervogel des Apollon. Odins schwätzende Raben sind letztlich seine Ideengeber. Was hat der Rabe nun mit dem Fliegenpilz am Hut? Da gibt es eine Mythe, nach der der Rabe mit Hilfe des Fliegenpilzes die Welt erschaffen hat. Das heißt, die Welt ist der Trip eines von Fliegenpilz berauschten Raben. Das erscheint mir kurzfristig recht plausibel, zumindest als akzeptable Option.

Dem heiligen Antonius, der einsam in der Wüste Sinai saß, brachte jeden Tag ein Rabe biblisches Brot. Der heilige Antonius hatte dauernd Visionen von Dämonen, besonders weiblichen, gehabt, die ihn verführen wollten. Bei diesem Rabenbrot könnte es sich ebenfalls um den Fliegenpilz gehandelt haben, der in dieser Region vorkommt.

Schweine, Rehe und besonders Rentiere essen gerne den Fliegenpilz um sich damit zu berauschen. Nach einer Legende sollen durch die Beobachtung der sich berauschenden Rentiere auch die Menschen einst auf die Wirkungen des Fliegenpilzes gekommen sein. Der von Fliegenpilzberauschten ausgeschiedene Urin enthält übrigens den unveränderten Wirkstoff des Pilzes, so dass dieser sich in Sibirien sowohl bei Rentieren wie auch Menschen großer Beliebtheit erfreute.

Ob der Fliegenpilz so heißt, weil man früher mit ihm Fliegen betäubt hat oder weil er den Hexen und Schamanen zum Fliegen verhilft, ist bis heute nicht sicher.

Mit den zahlreichen Fliegenpilz-Spielzeugen und Utensilien bis hin zur Fliegenpilz-Tapete und Schultüte mit Fliegenpilz-Motiv, mit denen man schon die Kinder konfrontiert, möchte man fast meinen, dass sie hier schon irgendwie auf Schamanentauglichkeit getestet werden. Schon das Kleinkind sieht, wenn es in die Welt schaut, Fliegenpilze. Die meisten Menschen leben mit den aus langer Tradition gewachsenen Fliegenpilzbedeutungen, denken sich aber nichts dabei, allenfalls, dass es sich um ein lustiges Glückssymbol handelt. „Der Pilz hat überall auf der Welt seine Diener, die zumindest unbewusst dafür sorgen, dass er wieder an die Oberfläche kommt.“

Schon bei den alten Griechen war die Farbe rot mit einem Tabu belegt und die Einnahme psychoaktiver Sakramente der Priesterkaste oder Einweihungsritualen vorbehalten.

„Man kann annehmen, dass von uralten Zeiten an, ein Tabu existiert, dass, wenn du kein Eingeweihter bist oder etwas von Zauberei oder Magie verstehst, dann hast du die Finger davon zu lassen, und es bekommt dir nicht.“ Unbewusste Vergiftungen Ahnungsloser mit entsprechenden Todesängsten und Magen-Darm-Verstimmung entsprechen denn meist auch eher dem Klischee einer Pilzvergiftung.
Die Hippies haben einen Kult um die Fliegenpilze gemacht. Eine ganze Reihe von Büchern, Comics, Katalogen und anderen Artefakten bis in die heutige Psytrance-Szene zeugen von ihrer Begeisterung für Fliegenpilze und Psilos. Die Schamanismus-Forscherin Johanna Wagner experimentierte mit dem Pilz. Seyfried zeichnete Berlin auf Fliegenpilz. Der Fliegenpilz-Hamburger zum Selberbasteln ist ein schräges Artefakt. Auf einer Abbildung hängt ein Maulwurf Fliegenpilze in den Weihnachtsbaum. Der Kreativität scheinen beim Fliegenpilz keine Grenzen gesetzt zu sein.

Nach Christian Rätsch ist der Weihnachtsmann letztlich nur ein abgeleiteter Schamane. In diesem symbolischen Zusammenhang steht auch der Schornsteinfeger.

Aus dem Kontext der indogermanischen Soma-Religion entstammt die Gottheit Mithras, die auf einem blonden Schopf ein rotes Zwergenmützchen trägt und mit rotem Röckchen, grünem Beinkleid und Elfenschuhen wie ein Zwergenkönig ausschaut. Sie wurde vom ersten bis zum dritten Jahrhundert besonders entlang der Grenzen des römischen Reiches im Rahmen eines siebenstufigen Einweihungskultes für Männer rituell verehrt. Im Zentrum der Mysterien, bei denen die Adepten in unterirdischen Tempeln je nach Status Tierverkleidungen, unter anderem auch die von Raben, anlegten und deren Höhepunkt die Offenbarung eines Mithrasbildes zu Sonnenaufgang darstellte, stand hier ein mitternächtlich eingenommener Rauschtrank, der möglicherweise fliegenpilzhaltig war. Man holte wohl auch Unwissende in diese Zirkel. Zumindest deutet die Sage von den Feenhügeln, in die Menschen entführt werden, darauf hin. Nahe bei Frankfurt a.M. hat man so einen Tempel ausgegraben. Besonders Edzard Klapp hat diese Zusammenhänge untersucht.

Der britische Orientalist John Allegro („Der Geheimkult des heiligen Pilzes“) kam auf die Idee, dass das Christentum, wie viele andere Religionen auch, einfach auf der Einnahme eines Rauschmittels basiert. Bei dem Baum der Erkenntnis und der Liebe, wie auf einer alten christlichen Abbildung aus dem 13. Jahrhundert zu sehen, oder dem Apfel vom Baum der Erkenntnis handelte es sich vielleicht um den Fliegenpilz. Der Amerikaner Clark Heinrich („Die Magie der Pilze“) hat diese Fragen fanatisch weiter verfolgt und im Rahmen seiner Forschungen und Spekulationen selbst geradezu gewalttätige Fliegenpilztrips gemacht.

Wahrscheinlich war der Gepunktete auch den alten Ägyptern bereits wohlbekannt.

Ein faszinierendes Phänomen sind die Hexenringe, kreisförmiges Wachstum von Fliegenpilzen. Manche von diesen Pilzkreisen sollen schon 600 Jahre alt sein. Im europäischen Hexenglauben gibt es keinen konkreten Hinweis auf die Verwendung von Fliegenpilzen. Möglicherweise sprach man aber auch von Kröten, wenn man in Wahrheit Fliegenpilze meinte.

Aus der Märchenwelt ist der Fliegenpilz nicht wegzudenken. Hier sind Hexen immer mit Fliegenpilzen verbunden. „Eine anständige Hexe, wenn sie was zusammenkocht, dann muss auch ein Fliegenpilz rein.“
Auf Märchen-Illustrationen, zum Beispiel zu „Peterchens Mondfahrt“ oder auf Schwinds berühmtem Rübezahl-Bildnis, sieht man oft unten den Fliegenpilz und darüber den Geist. Auch bei dem magischen Pilz in Lewis Carrolls „Alice im Wunderland“ handelt es sich vermutlich um einen Fliegenpilz. Das subjektive Empfinden, alles sei plötzlich riesig oder ganz klein um einen herum, oder umgekehrt, man selbst werde plötzlich ganz groß oder ganz klein, ist eine vielbeschriebene Fliegenpilzwirkung. Auch der tiefe Blick bis ins Innerste der Atome oder in die Unendlichkeiten des Universums gehört zu den klassischen Trip-Erfahrungen.

Immer wieder wird der Pilz als Männlein dargestellt. Millionen von innigst geliebten unpfändbaren deutschen Gartenzwergen oft in unisono mit Fliegenpilzen erinnern an die Hausgötter der Römer und könnten geradezu auf eine eigenartige Art von Drogenkult schließen lassen.

Die Fahrenden verehren den Fliegenpilz, was sich zum Beispiel in entsprechendem Geschirr äußert. Im Fasching verkleidet man sich gern als Fliegenpilz. „Jedes Fest, von dem man sich etwas Positives verspricht, wird vom Fliegenpilz ausgestattet.“

„Man könnte unendlich weitermachen“, sagt Wolfgang Bauer und möchte zum Ende kommen. Doch ich hake noch mal nach, denn mich interessiert, wo dieses besondere Interesse am Fliegenpilz seinen Ursprung fand. „1944, über uns waren die Tiefflieger. Meine Mutter zerrt mich in eine Fichtenschonung. Wir müssen uns verstecken, sonst schießen die auf uns, und da waren die Fliegenpilze. Ich renne darauf zu und meine Mutter sagt, Nein, bleib stehen, das ist die Wohnung von den Zwergen. Du willst ja auch nicht, dass man dir auf dem Dach rumtrampelt. Ich denke, das war mit auslösend, dass ich mich immer wieder mit den Fliegenpilzen beschäftigt habe.“

Und die Sammelleidenschaft? „Das muss ich ganz klar sagen. Das Zusammentragen der Fliegenpilzausstellung war keine Sammelleidenschaft. Die meisten dieser Sachen haben wir geschenkt bekommen oder haben uns Leute zugetragen. Sie sind im Besitz von Alexandra Rosenbohm, Edzard Klapp und zig anderen Leuten. Mich interessiert die Kulturgeschichte des Fliegenpilzes, die ich gerne anhand solcher Gegenstände zeige, aber ich bin kein Sammler von Fliegenpilzgegenständen. Sammler ist ein Wiener, der in seiner Privatwohnung eine völlig wahllose Sammlung hat, die man gegen einen kleinen Obolus besichtigen kann.“

Derart aufgeklärt und von der Thematik berauscht, werden wir schließlich wieder ans Tageslicht gedrängt, wo wir uns entschließen, keine Fliegenpilze zu knabbern, sondern in der Burgschänke Ebbelwoi und Handkäs mit Musik zu ordern. Ein herrlicher Tag.

 
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